Mittwoch, 15. Oktober 2014

Präsidentschaftwahlen


Dass der letzte Blog-Eintrag schon über einen Monat zurück liegt, liegt nicht etwa daran, dass hier nichts passiert und ich nicht weiß worüber ich schreiben soll, es passiert schlicht einfach zu viel und ich merke gar nicht, wie schnell die Zeit rum geht. Dafür jetzt aber einige Informationen was die letzten Wochen so passiert ist:

2. Oktoberwochenende: Präsidentschaftswahlen
Während bei uns dezente Wahlwerbeschilder der Parteien aufgestellt werden, haben die Bolivianer eine etwas auffälligere Methode ihren Kandidaten zu unterstützen: Sie streichen jede freie Mauer, Hauswand etc. mit den Farben ihrer Partei oder ihrem präferierten Kandidaten an. Und da der amtierende Präsident Evo Morales (seit 2006 im Amt) der mit Abstand stärkste Kandidat ist, ist schon seit unserer Ankunft ganz La Paz blau-weiß gestrichen, bevorzugt mit dem Spruch „Con Evo vamos bien“ oder einfach nur „Evo“ oder „MAS“ (seine Partei).
Öffentliche Fernseh-Debatten oder ähnliches gab es vor der Wahl keine und die öffentlichen Auftritte der Kandidaten (fünf Stück) mussten Mittwoch vor der Wahl enden, sodass an diesem besagten Mittwoch jede Partei noch einmal eine riesen Wahlveranstaltung hatte, eine davon war direkt auf dem Platz vor meiner Haustür und hat mich ehrlich gesagt ein wenig an Karneval erinnert, da alle komplett in Rot rumgelaufen sind und sogar einige geschmückte Wägen die Avenida hoch und runter gefahren sind.
Auch in den Supermärkten sah man deutlich, dass die Wahl kurz bevorstand: 3 Tage vorher durfte nämlich kein Alkohol mehr verkauft werden und so war die komplette Spirituosenabteilung mit Absperrband abgesperrt. …Und falls irgendjemand all dies nicht hätte mitbekommen sollen, wäre ihm spätestens Samstagnacht aufgefallen, dass irgendwas anders ist als sonst, von 00.00 -20:00 Uhr am Sonntagabend durfte nämlich in ganz Bolivien nur noch für die Wahl autorisierte Autos fahren, sonst niemand. Deshalb verbrachte ich den Samstagabend auch gemütlich zuhause, nachdem ich nachmittags auf dem Tag der offenen Tür des Projekt „Kaya Children“ war, das sich um ehemalige Straßenkinder kümmert, und in dem eine Freundin von mir arbeitet.

Am Wahlsonntag bin ich mit meiner Gastfamilie zur nächsten Schule gelaufen und habe mir das Wahlprozedere mal angeschaut (es besteht Wahlpflicht, wer nicht wählt dem wird 2 Monate lang das Konto gesperrt bzw. für eine Strafe von 2000 Bolivianos (etwas mehr als 200€) kann man sein Konto wieder aktivieren). Zuerst einmal mussten wir draußen anstehen, damit wir überhaupt einmal auf den Schulhof kamen. Dort angekommen musste sich jeder in eine weitere Schlange stellen, um zu erfragen, in welchem Raum er wählen konnte – das Ganze war nach Nachnamen geordnet, aber da  jeder Bolivianer mindestens drei Nachnamen hat, wusste keiner so genau nach welchem die Liste ging und irgendwie musste dann auch fast jeder aus meiner Gastfamilie (Gastvater-, Mutter-, Oma-, Onkel) in einem andern Raum wählen. Nachdem also der Raum erfragt war, konnte sich jeder dort anstellen und bekam dann zum Abschluss eine tolle Karte (sogar mit Foto) die bescheinigt, dass derjenige gewählt hat (es besteht Wahlpflicht, wer nicht wählt dem wird 2 Monate lang das Konto gesperrt bzw. für eine Strafe von 2000 Bolivianos (etwas mehr als 200€) kann man sein Konto wieder aktivieren). Da die Straßen ja alle gesperrt waren, waren jede Menge Stände aufgebaut worden und wir saßen alle noch gemütlich zusammen um etwas zu essen, bevor jeder wieder nach Hause gelaufen ist.

Gegen Abend wurde dann das –nicht überraschende- Ergebnis verkündet: Evo Morales ist mit 61% der Stimmen wiedergewählt worden, im Hochland hatte er sogar an die 70 %. Und die anderen Parteien? Die hatten so wenige Stimmen, dass zwei sogar eine Strafe zahlen mussten und insgesamt nur 3 von 5 im Parlament vertreten sind.
So gab es – von der Amtsantrittsrede Evo´s einmal abgesehen - einige Dinge über die ich nur den Kopf schütteln konnte, doch die internationalen Beobachter waren alle sehr zufrieden und meinten, dass alles sehr demokratisch abgelaufen wäre.

(Ein kurzer Exkurs zu Evo Morales: Evo wurde 1959 in einem Andendorf geboren (gehört somit dem indigenen Stamm der Aymara an) und wuchs in größter Armut auf. Nach seinem Wehrdienst ging er in den Chapare, die größte Kokaanbauregion Boliviens und ist noch heute Führer der Bewegung für die Rechte der Coca-Bauern. Seit 1993 ist Morales Kongressabgeordneter und seit 2006 der erste indigene Präsident mit sehr großem Rückhalt der Bevölkerung. Morales gilt als kapitalismuskritisch und bezeichnete den Neoliberalismus als eine Erfindung von IWF und Weltbank, die dem einfachen Volk nur das nackte Überleben sichert. Im Juli 2006 begann Morales mit den Vorbereitungen für eine Verfassungsreform. Diese strebte eine Verstaatlichung der Bodenschätze, der Eisenbahn und der Industrie, eine Reform des damals liberal geprägten Wirtschaftssystems, eine Landreform und die Schaffung eines laizistischen Staats durch Abschaffung der Staatsreligion an. Außerdem förderte er die Rechte der indigenen Bevölkerung, gerade seine „Koka-fördernde-Politik“ führte jedoch dazu, dass sich das Verhältnis zu den USA stark verschlechterte).


"2015-2020 EVO-PRESIDENTE"

Schlangen vor dem Wahllokal


3. Oktoberwoche

Über die Woche gibt es nicht viel zu berichten, außer, dass ich nachdem ich Anfang Oktober endlich mein Visum abholen konnte diesen Mittwoch auch endlich mein Carnet de extranjeros bekommen habe, eine Art bolivianischer Personalausweis, und ich jetzt hoffentlich so schnell keine bolivarische Behörde mehr von Innen sehen muss.
Ansonsten hatten wir im Juancito Wesley noch einen Kindergeburtstag, zu dem nachmittags auch die Verwandten des Kindes kamen und Torte, Piñata und Süßigkeiten mitgebracht haben und wir jede Menge Spiele spielten. Da das Geburtstagskind eines unserer am weitesten entwickelten Kinder ist (was Sprache, Verhalten etc. angeht) und recht groß ist, ging ich davon aus, dass sie 5 Jahre alt wird. Als mir dann gesagt wurde, dass sie erst 3 wird war ich echt überrascht, vor allem weil die anderen 2-3 Jährigen ja entwicklungstechnisch genau so weit sein müssten. Aber man merkt deutlich, welche Kinder Eltern haben die sich um sie kümmern (und die dann beispielsweise am Geburtstag auch zu uns kommen) und welche dieses Glück leider nicht haben.

Was mir mittlerweile auch aufgefallen ist, und das erklärt auch warum viele kleine Kinder so schlecht spanisch sprechen, ist, dass die Großeltern oder zuhause vielleicht auch noch einige Eltern mit den Kindern Aymara sprechen.

Trotzdem kann ich jetzt schon viel mehr mit den Kindern spielen als anfangs, einige Brettspiele und unser selbstgebasteltes Memorie klappen ganz gut, ohne dass irgendein Kind sich alles schnappt und wegrennt, wie es im August noch der Fall war. Außerdem versuche ich öfter irgendwelche Bewegungsspiele oder simple Dinge wie „auf einem Bein durchs Zimmer hüpfen“, "Bälle prellen" oder ähnliches zu machen und mir ständig neue Dinge zu überlegen um die Kleinen auch ohne Fernseh bei Laune zu halten. Und da die Meisten mittlerweile gut auf mich hören und ich die spanischen Imperative aufgrund ständiger Übung inzwischen ohne großes Überlegen beherrsche, klappt das auch ganz gut.