Dass der letzte Blog-Eintrag schon über einen Monat zurück
liegt, liegt nicht etwa daran, dass hier nichts passiert und ich nicht weiß worüber
ich schreiben soll, es passiert schlicht einfach zu viel und ich merke gar
nicht, wie schnell die Zeit rum geht. Dafür jetzt aber einige Informationen was die
letzten Wochen so passiert ist:
2. Oktoberwochenende: Präsidentschaftswahlen
Während bei uns dezente Wahlwerbeschilder der Parteien
aufgestellt werden, haben die Bolivianer eine etwas auffälligere Methode ihren
Kandidaten zu unterstützen: Sie streichen jede freie Mauer, Hauswand etc. mit
den Farben ihrer Partei oder ihrem präferierten Kandidaten an. Und da der
amtierende Präsident Evo Morales (seit 2006 im Amt) der mit Abstand stärkste
Kandidat ist, ist schon seit unserer Ankunft ganz La Paz blau-weiß gestrichen,
bevorzugt mit dem Spruch „Con Evo vamos bien“ oder einfach nur „Evo“ oder „MAS“
(seine Partei).
Öffentliche Fernseh-Debatten oder ähnliches gab es vor der Wahl keine und die öffentlichen Auftritte der Kandidaten (fünf Stück)
mussten Mittwoch vor der Wahl enden, sodass an diesem besagten Mittwoch jede
Partei noch einmal eine riesen Wahlveranstaltung hatte, eine davon war direkt
auf dem Platz vor meiner Haustür und hat mich ehrlich gesagt ein wenig an
Karneval erinnert, da alle komplett in Rot rumgelaufen sind und sogar einige
geschmückte Wägen die Avenida hoch und runter gefahren sind.
Auch in den Supermärkten sah man deutlich, dass die Wahl
kurz bevorstand: 3 Tage vorher durfte nämlich kein Alkohol mehr verkauft werden
und so war die komplette Spirituosenabteilung mit Absperrband abgesperrt. …Und
falls irgendjemand all dies nicht hätte mitbekommen sollen, wäre ihm spätestens
Samstagnacht aufgefallen, dass irgendwas anders ist als sonst, von 00.00 -20:00
Uhr am Sonntagabend durfte nämlich in ganz Bolivien nur noch für die Wahl
autorisierte Autos fahren, sonst niemand. Deshalb verbrachte ich den
Samstagabend auch gemütlich zuhause, nachdem ich nachmittags auf dem Tag der
offenen Tür des Projekt „Kaya Children“ war, das sich um ehemalige
Straßenkinder kümmert, und in dem eine Freundin von mir arbeitet.
Am Wahlsonntag bin ich mit meiner Gastfamilie zur nächsten
Schule gelaufen und habe mir das Wahlprozedere mal angeschaut (es besteht
Wahlpflicht, wer nicht wählt dem wird 2 Monate lang das Konto gesperrt bzw. für
eine Strafe von 2000 Bolivianos (etwas mehr als 200€) kann man sein Konto
wieder aktivieren). Zuerst einmal mussten wir draußen anstehen, damit wir
überhaupt einmal auf den Schulhof kamen. Dort angekommen musste sich jeder in
eine weitere Schlange stellen, um zu erfragen, in welchem Raum er wählen konnte
– das Ganze war nach Nachnamen geordnet, aber da jeder Bolivianer mindestens drei Nachnamen hat,
wusste keiner so genau nach welchem die Liste ging und irgendwie musste dann
auch fast jeder aus meiner Gastfamilie (Gastvater-, Mutter-, Oma-, Onkel) in
einem andern Raum wählen. Nachdem also der Raum erfragt war, konnte sich jeder dort
anstellen und bekam dann zum Abschluss eine tolle Karte (sogar mit Foto) die
bescheinigt, dass derjenige gewählt hat (es besteht Wahlpflicht, wer nicht
wählt dem wird 2 Monate lang das Konto gesperrt bzw. für eine Strafe von 2000
Bolivianos (etwas mehr als 200€) kann man sein Konto wieder aktivieren). Da die
Straßen ja alle gesperrt waren, waren jede Menge Stände aufgebaut worden und
wir saßen alle noch gemütlich zusammen um etwas zu essen, bevor jeder wieder
nach Hause gelaufen ist.
Gegen Abend wurde dann das –nicht überraschende- Ergebnis
verkündet: Evo Morales ist mit 61% der Stimmen wiedergewählt worden, im
Hochland hatte er sogar an die 70 %. Und die anderen Parteien? Die hatten so
wenige Stimmen, dass zwei sogar eine Strafe zahlen mussten und insgesamt nur 3
von 5 im Parlament vertreten sind.
So gab es – von der Amtsantrittsrede Evo´s einmal abgesehen -
einige Dinge über die ich nur den Kopf schütteln konnte, doch die
internationalen Beobachter waren alle sehr zufrieden und meinten, dass alles
sehr demokratisch abgelaufen wäre.
(Ein kurzer Exkurs zu Evo Morales: Evo wurde 1959 in einem Andendorf geboren (gehört somit dem indigenen Stamm der Aymara an) und wuchs in größter Armut auf. Nach seinem Wehrdienst ging er in den Chapare, die größte Kokaanbauregion Boliviens und ist noch heute Führer der Bewegung für die Rechte der Coca-Bauern. Seit 1993 ist Morales Kongressabgeordneter und seit 2006 der erste indigene Präsident mit sehr großem Rückhalt der Bevölkerung. Morales gilt als kapitalismuskritisch und bezeichnete den Neoliberalismus als eine Erfindung von IWF und Weltbank, die dem einfachen Volk nur das nackte Überleben sichert. Im Juli 2006 begann Morales mit den Vorbereitungen für eine Verfassungsreform. Diese strebte eine Verstaatlichung der Bodenschätze, der Eisenbahn und der Industrie, eine Reform des damals liberal geprägten Wirtschaftssystems, eine Landreform und die Schaffung eines laizistischen Staats durch Abschaffung der Staatsreligion an. Außerdem förderte er die Rechte der indigenen Bevölkerung, gerade seine „Koka-fördernde-Politik“ führte jedoch dazu, dass sich das Verhältnis zu den USA stark verschlechterte).
 |
"2015-2020 EVO-PRESIDENTE" |
 |
Schlangen vor dem Wahllokal |
3. Oktoberwoche
Über die Woche gibt es nicht viel zu berichten, außer, dass
ich nachdem ich Anfang Oktober endlich mein Visum abholen konnte diesen
Mittwoch auch endlich mein Carnet de
extranjeros bekommen habe, eine Art bolivianischer Personalausweis, und ich
jetzt hoffentlich so schnell keine bolivarische Behörde mehr von Innen sehen
muss.
Ansonsten hatten wir im Juancito Wesley noch einen
Kindergeburtstag, zu dem nachmittags auch die Verwandten des Kindes kamen und
Torte, Piñata und Süßigkeiten mitgebracht haben und wir jede Menge Spiele
spielten. Da das Geburtstagskind eines unserer am weitesten entwickelten Kinder
ist (was Sprache, Verhalten etc. angeht) und recht groß ist, ging ich davon aus,
dass sie 5 Jahre alt wird. Als mir dann gesagt wurde, dass sie erst 3 wird war
ich echt überrascht, vor allem weil die anderen 2-3 Jährigen ja
entwicklungstechnisch genau so weit sein müssten. Aber man merkt deutlich,
welche Kinder Eltern haben die sich um sie kümmern (und die dann beispielsweise
am Geburtstag auch zu uns kommen) und welche dieses Glück leider nicht haben.
Was mir mittlerweile auch aufgefallen ist, und das erklärt
auch warum viele kleine Kinder so schlecht spanisch sprechen, ist, dass die
Großeltern oder zuhause vielleicht auch noch einige Eltern mit den Kindern Aymara
sprechen.
Trotzdem kann ich jetzt schon viel mehr mit den Kindern spielen als
anfangs, einige Brettspiele und unser selbstgebasteltes Memorie klappen ganz
gut, ohne dass irgendein Kind sich alles schnappt und wegrennt, wie es im
August noch der Fall war. Außerdem versuche ich öfter irgendwelche
Bewegungsspiele oder simple Dinge wie „auf einem Bein durchs Zimmer hüpfen“,
"Bälle prellen" oder ähnliches zu machen und mir ständig neue Dinge zu
überlegen um die Kleinen auch ohne Fernseh bei Laune zu halten. Und da die
Meisten mittlerweile gut auf mich hören und ich die spanischen Imperative aufgrund
ständiger Übung inzwischen ohne großes Überlegen beherrsche, klappt das auch ganz gut.